Rede zum Haushaltsentwurf 2020
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Rede zum Haushaltsentwurf 2020

Die Stellungnahme der Freien Wähler zum Haushalt im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Hintermayer, werte Gemeinderatskolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,

eines lässt sich heute Abend mit großer Gewissheit festhalten:

Der Haushalt 2020 stellt ein Novum in der fast 50 jährigen Geschichte der Stadt Kraichtal dar:

  • zum ersten Mal wird das neue kommunale Haushaltsrecht angewendet.
  • noch nie war die wirtschaftliche Gesamtentwicklung so ungünstig und von so großer Unsicherheit geprägt wie in diesem Jahr
  • das Defizit im Ergebnishaushalt liegt mit 5,56 Mio. € auf Rekordhöhe

Diese Situation wird ein Umdenken in wesentlichen Grundzügen unserer bisherigen und künftigen Kommunalpolitik mit sich bringen.

Das neue Haushaltsrecht lässt sich mit der bisher angewendeten kameralen Buchführung nicht vergleichen. Aufwendungen und Kosten werden direkt, unmittelbar und vor allem zeitnah auf die jeweilige Ausgabenposition zugerechnet.

Wirtschaftlichkeit und Rentabilität von Investitionen werden offener dargestellt und müssen dann auch zwingender im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden. Insofern sorgt dieses neue kommunale Haushaltsrecht für mehr Übersichtlichkeit und Klarheit. Andererseits hat diese Rechnungsform gravierende Auswirkungen auf die Haushaltszahlen in Kraichtal. Wir haben als größte Flächengemeinde ein enormes Wege- und Straßennetz, ein weitläufiges Wasser- und Abwassersystem und in neun Stadtteilen zahlreiche Immobilien zu unterhalten. Beim gesamten Anlagevermögen wird über die gebildeten Abschreibungen die Refinanzierung auf die laufenden Haushaltsjahre vorgezogen.

In diesem Jahr sind die Abschreibungen mit 2,5 Mio. € vorläufig noch geschätzt. Die genaueren Zahlen werden im Laufe des Jahres ermittelt. Auch ohne diese Abschreibungen schließt das Rechnungsergebnis mit einem Defizit von 3,1 Mio. €, obwohl wir im Vorjahr noch von einem Überschuss von
rd. 1 Mio. € ausgegangen sind. Zurückzuführen ist dies zum großen Teil auf höhere Kreisumlagen, höhere Umlagen beim Finanzausgleich, gestiegenen Zuschüssen an Kindergartenträger und höheren Kosten in der Gebäudeunterhaltung.

Auch der mittelfristige Finanzplan weist bis 2023 jährliche Defizite zwischen 1,75 und 4,5 Mio. € aus. Wenn nicht Grundlegendes geändert wird, werden unsere noch vorhandenen liquiden Mittel in Höhe von rd. 11 Mio. in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Der Schuldenstand ohne die Eigenbetriebe würde sich bis 2023 auf 17,3 Mio erhöhen.

Eine große Belastung stellt die seit Januar weltweit grassierende Corona-Krise dar:

Wie entwickeln sich die Zuweisungen von Bund und Land, wie stark gehen die Gewerbesteuereinnahmen zurück? Nach den neuesten Zahlen summieren sich die Steuerausfälle auf Bundesebene auf rd. 98 Mrd. Enorme Rückgänge bei den Zuweisungen sind zu erwarten. Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt die wirtschaftlichen Folgen seriös voraussagen. Vor allem ist derzeit unklar, wie lange die Einschränkungen in der Realwirtschaft noch aufrecht erhalten bleiben. Gibt es eine zweite Infektionswelle ? Im unserem Haushalt ist eine Risikovorsorge von rd. 1 Mio. € enthalten. Ob dieser Betrag ausreicht, kann erst am Ende des Haushaltsjahres ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund muss man sich die Frage stellen, was können wir tun ?

Auf der Einnahmenseite sind die Möglichkeiten begrenzt: 74 % der städtischen Einnahmen kommen über Zuweisungen, Zuschüsse oder Umlagen, auf deren Höhe wir keinen Einfluss haben. Sollten sich Bund und Land nicht für ein dringend notwendiges Hilfsprogramm für Kommunen entscheiden, wird sich in diesem Bereich nichts bewegen. Nur 26 % der Gesamteinnahmen fließen über eigene Steuern oder Gebühren in unsere Kasse. Aber auch hier sind Erhöhungen nur begrenzt möglich. Wir müssen immer die Verhältnismäßigkeit, die Gesamtbelastung der Bürger und die Vergleichbarkeit mit Nachbarkommunen im Auge behalten. Die andere Möglichkeit einen Haushalt zu sanieren, ist die Ausgaben zu senken. Dabei muss jedoch zuerst zwischen Pflichtaufgaben einer Kommune und den so genannten Freiwilligkeitsleistungen unterschieden werden.

Bei den Pflichtaufgaben wie z. B. Versorgungseinrichtungen, Brand- und Katastrophenschutz, allgemein bildende Schulen oder Bauleitplanung hat die Stadt keinen Ermessensspielraum. Diese Leistungen müssen für die Bürger bereitgestellt werden. Dazu gehört eine leistungsfähige Verwaltung mit dem dazu notwendigen Personal und eine entsprechende Sachausstattung.

Bei den Freiwilligkeitsleistung kommen wir nicht umhin, die Frage zu stellen, welchen Standard können wir uns in Kraichtal in Zukunft noch leisten? Liegen wir im Vergleich zu Nachbarkommunen in einigen Bereichen nicht auf einem sehr hohen Niveau und wo müssen oder können wir nachjustieren? Selbstverständlich ist dabei immer die Verhältnismäßigkeit und eine gerechte Lastenverteilung im Auge zu behalten.

Nicht alle Leistungen werden in allen Stadtteilen in gleichem Umfang vorgehalten werden können. Nach fast 50 Jahren ist die Stadt als Gesamtheit und nicht nur als Zusammenschluss von 9 Stadtteilen zu sehen. Bei der Suche nach strukturellen Veränderungen müssen Synergien wie z.B. bei der Nutzung von Gebäuden stadtteilübergreifend geprüft werden. So ist es für einen Verein durchaus zumutbar, auch in benachbarte Stadtteile auszuweichen. Bei einer städtischen Nutzung kann eine Verlagerung wie bspw. beim Archiv in der Alten Schule in Oberacker Kapazitäten freisetzen. Werden diese Gebäude nicht mehr benötigt, sollten sie bei dem derzeit boomenden Immobilienmarkt umgehend veräußert werden. In einzelnen Bereichen ist es auch möglich, den Standard und die Kosten zu senken, ohne grundsätzliche Leistungen oder das Niveau merklich einzuschränken. Als Beispiel möchte ich hier die Friedhofspflege oder die Pflege der öffentlichen Anlagen benennen. Trotz der enormen Finanzierungslücke müssen im Haushalt auch Investitionen für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung in Angriff genommen werden.

Hier sehen wir Kraichtal gut aufgestellt:

Für die Gemeinschaftsschule ist noch eine letzte Finanzierungsrate von 1,94 Mio eingestellt, wobei hier aber auch noch Zuschüsse in Höhe von 2,5 Mio. erwartet werden. Für eine Teilsanierung im Kindergarten Menzingen wurden außerplanmäßig Mittel in Höhe von 140 000,– € eingestellt. Die Feuerwehr wird mit zwei MLF mit Bruttokosten von 320 000,– für die Abteilungen Gochsheim und Landshausen ausgestattet.

Wir begrüßen ausdrücklich die Planungsansätze für eine neue Anbindung des Gewerbegebietes Klosteracker in Richtung Münzesheim Ost. Im Haushalt 2020 sind dafür 30 000,– €, im mittelfristigen Finanzplan bis 2023 insgesamt 2,2 Mio für ein mögliche Umsetzung enthalten. Diese Summe ist kein absolutes Fixum. Welche Förderungen und Zuschüsse möglich sind, konnte man bei der Verbindungsstraße in Menzingen feststellen. Selbstverständlich müssen alle in Frage kommenden Fördergelder abgerufen werden.

Zustimmung unserer Fraktion auch zu einer weiteren bedarfsgerechten Erschließung der Gewerbegebiete Holder in Münzesheim und Klosteracker in Gochsheim. Geplant ist der Erwerb und die Umlegung eines landeseigenen Grundstückes in der Größe von 2,1 ha. 370 000,– € sollen dafür im laufenden Jahr ausgegeben werden. Diese Erweiterung ist maßvoll und überschaubar! Sie wird für örtliche Gewerbetreibende dringend benötigt und bei entsprechender Steuerung den Verkehr nicht über Gebühr belasten. Kurzfristig können durch die Erschließung Einnahmen erzielt werden, mittelfristig sind wohnortnahe Arbeitsplätze und höhere Gewerbesteuereinnahmen zu erwarten.

Zustimmung von unserer Seite auch für ein Gewerbegebiet „Brückle“ im Westen von Unteröwisheim. Ein Planungsansatz in Höhe von 10 000,– wurde in den Haushalt 2020 aufgenommen. Da im Vorfeld zuerst die Erschließung „Lügerwiesen“ und eine vernünftige Verkehrsanbindung mit einem Kreisel beim „Netto“ in Sichtweite sein muss, sehen wir eine mögliche Umsetzung erst in einigen Jahren.

Die erste Priorität kann deshalb nur in Münzesheim und Gochsheim liegen.

Ein wichtiger Punkt ist auch die Sanierung des städtischen Straßen und Wegenetzes. In den vergangenen Jahren wurde regelmäßig dieser Haushaltsansatz aus Spargründen reduziert. Doch wenn man ständig notwendige Maßnahmen hinausschiebt, ist dies kein Einsparen, sondern erhöht nur die Kosten in Folgejahren. Wir befürworten deshalb den Ansatz von 280 000,– für die Feldwegunterhaltung. Für Straßenerneuerungen sind ab 2021 jährlich 300 000,– vorgesehen, wobei diese 300 000,– € eigentlich nur ein Anfang sein können. Für eine nachhaltige Verbesserung müsste dieser Betrag deutlich höher angesetzt werden.

Insgesamt 300 000,– € sind in Uö. für eine Erschließung in den Bereichen „Gaisberg“ bzw. Lügerwiesen und einen neuen Bahnübergang an der Josef Haid Straße geplant. Ziel ist eine bessere Anbindung in Richtung Ubstadt und eine Entlastung der Friedrichstraße. Gleichzeitig muss der Bau eines Verkehrskreisels beim Nettomarkt vorangetrieben werden. Dieser Kreisel betrifft die L 554 und liegt deshalb ausschließlich in der Zuständigkeit des Landes. Die Finanzierung muss folglich auch komplett vom Land übernommen werden.

In Gochsheim wird derzeit mit erheblicher Förderung des Landes eine neue Brücke über den Kraichbach gebaut. Auch der Ufer- und Gewässerbereich wird naturnah umgestaltet. Dieses Projekt in Verbindung mit der neuen Radwegbeschilderung ist eine ökologische, zukunftsorientierte Investition zum Nutzen der Kraichtaler Bürger. Sie steigert die Attraktivität Gochsheims für Wanderer und Kurzzeittouristen. Nach wie vor ist der Straßenverkehr das ungelöste Hauptproblem Kraichtals. Vor wenigen Tagen wurde das Ergebnis der Verkehrszählung von Modus Consult Dr. Gericke in Karlsruhe bekannt. Die Zählung wurde am 24.10.2019 an mehreren Zählpunkten in Kraichtal und Umgebung durchgeführt.

Mit 19 500 Fahrzeugen pro Tag ist die Friedrichstr. in Uö. noch weitaus stärker belastet als befürchtet. Der Schwerlastverkehr ist mit rd. 750 Fahrzeugen pro Tag extrem hoch, der Anteil an Durchfahrern liegt bei rd . 60 %. Auf Basis dieser Studie muss in jedem Fall ein LKW Durchfahrtsverbot für Unteröwisheim erlassen werden. Sämtliche Argumente der Verkehrsbehörde, dieses bisher abzulehnen, sind mit diesem Datenmaterial hinfällig.

An dieser Forderung werden wir mit allem Nachdruck festhalten! Um die Geschwindigkeitsbegrenzung besser zu überwachen, müssen mit dem Landratsamt nochmals Gespräche über die Finanzierung zweier stationärer Blitzlichtanlagen geführt werden. Das Landratsamt muss in Anbetracht unserer prekären Haushaltslage auch zu Zugeständnissen bereit sein !

Für Oberacker gibt es eine Verkehrsentlastung nur in Form einer weiträumigen Umfahrung, die in ihrer Grobplanung seit 2008 auf dem Tisch liegt. Für die Finanzierung dieser neuen K 3503 ist als Träger grundsätzlich der Landkreis zuständig. Sollten im Kreistag keine Ergebnisse erzielt werden, muss auch von der Stadt Kraichtal eine Umsetzung in Eigenregie geprüft werden. Zuschüsse und Fördermittel müssen beantragt werden.

Zu den Eigenbetrieben:

Bei der Wasserversorgung werden in diesem Jahr ebenfalls erhebliche Gelder investiert: Rund 3,9 Mio. € für die zentrale Wasserversorgung Mü. Go. und Oberacker, für ein neues Prozessleitsystem und Sanierungen im Leitungsnetz. Zahlreiche Rohrbrüche im abgelaufenen Jahr zeigen den dringenden Handlungsbedarf.

Beim Eigenbetrieb Abwasser werden rd. 1,9 Mio € überwiegend für eine Kanalsanierung in Menzingen und ein neues Regenüberlaufbecken in Landshausen ausgegeben. Zusätzlich wird ein neues Prozessleitsystem die Betriebssicherheit erhöhen.

Der Schuldenstand in den Eigenbetrieben wird sich damit zwar weiter erhöhen, aber eine schrittweise Ertüchtigung der Techn. Anlagen und des
Leitungsnetzes ist unumgänglich. Trotz einer hohen Finanzierungslücke werden mit diesem Haushalt 2020 wichtige Impulse sowohl in den Eigenbetrieben als auch für die Gesamtentwicklung der Stadt gesetzt. Es muss allerdings zeitnah eine strukturelle Sanierung in die Wege geleitet werden, ansonsten wird uns das Haushaltsrecht in nicht mehr ferner Zeit aus der Hand genommen werden.

Die Freie Wähler Fraktion stimmt dem vorgelegten Zahlenwerk einstimmig zu.

Abschließend möchte ich mich noch bei Ihnen Herr Bürgermeister Hintermayer und der Verwaltung für die gute Zusammenarbeit, bei den
Gemeinderatskollegen für die stets sachliche und konstruktive Diskussionskultur ganz herzlich bedanken.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit !

Fraktionsvorsitzender Reinhard Müller, Kraichtal, 20. Mai 2020.

Die Reden der anderen Fraktionen und des Bürgermeisters finden sie übrigens hier.